Rockdown statt Lockdown – Musik und Lebensfreude für Menschen mit Demenz

  • 12. Mai 2020

Demenz ist ein Thema, das viele Berührungsängste und Unsicherheiten in der Bevölkerung auslöst. Dadurch wird die Isolierung der Betroffenen verstärkt. Der Hamburger Verein KONFETTI IM KOPF e. V. setzt sich für mehr Verständnis ein. Über Kunst und Kultur werden Begegnungen ermöglicht – für ein lebensbejahendes Miteinander von Menschen mit und ohne Demenz. Unter anderem wurde das KONFETTI-Café ins Leben gerufen – ein Ort, an dem sich Betroffene und Anwohner, Schüler, Besucher und alle interessierten Menschen in ungezwungener Atmosphäre austauschen können. Dafür erhielt der Verein 2014 den Marie Simon Pflegepreis.

Wie KONFETTI IM KOPF e. V. derzeit mit dem KONFETTI-Rockdown Lebensfreude in Pflegeeinrichtungen bringt, erzählte uns Michael Hagedorn, Vorstand des gemeinnützigen Vereins.

Herr Hagedorn, welche Auswirkungen hat die Corona Krise auf die Situation von Menschen mit Demenz?

Um Ansteckungen zu vermeiden, gibt es in den Pflegeeinrichtungen starke Einschränkungen der Kontakte. Das heißt: keine Besuche von Angehörigen, aber auch keine Besuche von Therapeuten, keine Betreuungsangebote, keine Abwechslung im Alltag. Das bedeutet eine enorme Belastung sowohl für die Bewohner als auch für die Betreuungskräfte in den Einrichtungen.

Es gibt niemanden, der einfach nur da sein kann und das Gefühl von Nähe gibt. Das ist für alle Menschen belastend, aber für Menschen mit Demenz ganz besonders. Durch die kurze Erinnerungsspanne besteht bei ihnen ein viel höherer Betreuungsbedarf, sie brauchen viel mehr Aufmerksamkeit.

KONFETTI IM KOPF e. V. hat aufgrund der Reduzierung der sozialen Kontakte den KONFETTI-Rockdown ins Leben gerufen. Was verbirgt sich dahinter? Was hat den Auslöser für diese Idee gegeben?

Wir wollten die derzeitige Situation, wie ich sie eben beschrieben habe, nicht untätig verstreichen lassen. Wir wollten den Menschen etwas Gutes tun und Freude in ihr Leben bringen. Das Projekt ist sehr spontan aus dem Bauch heraus entstanden, denn aktuell braucht es schnelle und unkomplizierte Lösungen.

Beim KONFETTI-Rockdown besuchen Musiker Menschen in Pflegeeinrichtungen und spielen für diese. Sie spielen Stücke aus der Jugend der Senioren – Oldies, Schlager, Klassiker – und bringen damit schöne Erinnerungen, Lebensfreude und Abwechslung zu den Menschen. Natürlich finden die Konzerte immer in einem sicheren Abstand statt, also auf dem Hof oder auf der Straße vor der Einrichtung. Denn es soll für niemanden eine Ansteckungsgefahr entstehen.

Die Einrichtungen können den KONFETTI-Rockdown bei uns buchen. Wir suchen immer weitere Einrichtungen, die das Angebot annehmen und Musiker, die sich beteiligen möchten. Bislang wurden die Konzerte ohne Kosten für die Einrichtungen durchgeführt, allerdings überlegen wir, langfristig die Selbstkosten der Musiker in Rechnung zu stellen. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass auch Künstler – und ganz besonders Musiker – von der Krise betroffen sind. Hier wollen wir fair sein und mit diesem Projekt auch die Musiker ein kleines bisschen unterstützen.

Welche Reaktionen erleben Sie auf den KONFETTI-Rockdown?

Wir erleben, wie die Menschen in den Einrichtungen auf die Musik reagieren und aufleben. Sie fangen an, mitzusummen, mitzusingen und manchmal wird auch getanzt.

Wir erleben auch, dass Passanten, Anwohner oder Autofahrer anhalten und sich über die Konzerte freuen. Das hat uns überrascht und gefreut, denn es entspricht der Grundidee unserer KONFETTI-Projekte: Menschen mit und ohne Demenz zu verbinden. So können trotz allem gemeinsame Momente erlebt werden.

Seitens der Einrichtungen wird das Projekt sehr positiv aufgenommen. Wir hatten bislang etwa 20 Konzerte und erhalten immer mehr Anfragen. Mai und Juni sind bereits gut gebucht.

Welche Rolle spielt Musik generell in der Betreuung von Menschen mit Demenz?

Musik ist ein Weg, mit dem Menschen mit Demenz sehr gut erreicht werden können. Musik löst tiefe Assoziationen aus. Sie beeinflusst positiv die Stimmung und man kann so auch noch zu Betroffenen im fortgeschrittenen Stadium Brücken bauen.

Das Zentrum für Gesang ist an einer anderen Stelle im Gehirn angesiedelt als das Sprachzentrum. Daher können Menschen mit Demenz häufig noch singen, auch wenn sie schon nicht mehr sprechen können. Theoretisch könnten sie sich singend verständigen. Die Arbeit der Musiktherapeuten kann daher in diesem Zusammenhang gar nicht hoch genug geschätzt werden.

Und Musik verbindet Menschen, egal ob mit oder ohne Demenz.

Deswegen spielt Musik eine große Rolle in den Projekten vom KONFETTI IM KOPF e. V. Normalerweise finden beispielsweise regelmäßige Konzerte im KONFETTI-Café statt. Das ja nun aber leider aktuell geschlossen bleiben muss.

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Sehen Sie Potenzial, KONFETTI-Rockdown auch langfristig weiterführen, also auch nach der Corona-Krise?

Im Grunde genommen ist der Rockdown eine aufsuchende Variante des KONFETTI-Cafés. Es ist daher eine spannende Idee, diesen Ansatz auch in der Zukunft beizubehalten, um so Musik und Lebensfreude zu Menschen zu bringen, die nicht mehr so mobil sind.

Aktuell sind wir aber mit den Gedanken vollständig in der Gegenwart, denn aufgrund der Corona-Krise gibt es viel zu tun, um Angebote an die Situation anzupassen und hilfebedürftige Menschen nicht allein zu lassen.

Lieber Herr Hagedorn, wir danken Ihnen für das Gespräch! Wir wünschen Ihnen und allen Mitstreitern und Mitstreiterinnen alles Gute und vor allem: Bleiben Sie gesund!

Weitere Informationen finden Sie auch unter https://konfetti-im-kopf.de/.