Nähe trotz Kontaktbeschränkungen –
Chancen und Grenzen der Digitalisierung in Pflegeeinrichtungen

  • 3. April 2020

Das Netzwerk „Lebensqualität für Generationen“ (LQG) des BRK Kreisverband Kronach ist eine Initiative, die Betreuungsangebote für unterschiedliche Lebensphasen bedarfsorientiert vernetzt. Sie bietet in diesem Rahmen auch Unternehmen bzw. deren Mitarbeiter*innen eine kompetente Anlaufstelle für Fragen rund um die pflegerische Betreuung von Angehörigen. 2019 erhielt sie dafür den Sonderpreis zum Otto Heinemann Preis zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Die im Netzwerk eingebundenen Pflegeeinrichtungen mussten – wie viele andere Einrichtungen auch – ein Besuchsverbot aussprechen, um die Bewohner vor einer Infektion mit dem neuartigen Corona-Virus zu schützen. Wie kann trotzdem ein regelmäßiger, persönlicher Kontakt zu Angehörigen sichergestellt werden? Wir sprachen darüber mit Roland Beierwaltes, Geschäftsführer des BRK Kreisverband Kronach.

Herr Beierwaltes, als Ersatz für einen persönlichen Austausch nutzen Arbeitnehmer vielfach Videokonferenzen, jüngere Generationen treffen sich jetzt in WhatsApp-Gruppen. Welche Möglichkeiten bieten Sie an, um den Bewohnern Ihrer Einrichtungen persönliche Kontakte zu ermöglichen?

Gleich mit dem Beginn des Besuchsverbotes haben wir uns überlegt, was wir den 250 Bewohnern unserer beiden Einrichtungen anbieten können. Wir haben uns für drei Wege entschieden: Skype für Videotelefonie, GoToMeeting für Video- und Telefonkonferenzen – wenn sich mehrere Freunde oder Familienangehörige von verschiedenen Wohnorten aus treffen möchten – und wir haben einen Messengerdienst ausgewählt, der unsere Datenschutzanforderungen erfüllt. Wir haben iPads und Smartphones angeschafft, aber natürlich geht das nicht für jeden Bewohner. Daher können Angehörige über eine Hotline einen Termin vereinbaren. Wir stellen zu diesem Termin das entsprechende Gerät bereit und helfen den Bewohnern bei der Nutzung. So ist niemand mit der Technik alleingelassen. Manche Bewohner haben auch eigene Geräte. Diese unterstützen wir natürlich auch bei der Einrichtung und der Nutzung der Programme, wenn Bedarf besteht. Man kann nicht davon sprechen, dass diese Möglichkeiten massenhaft genutzt werden, aber wir sehen den Mehrwert und konnten so schon viele sehr schöne Momente für unsere Bewohner schaffen.

Ein wunderbares Angebot, aber sicherlich auch ein nicht zu unterschätzender Organisationsaufwand in der Krisensituation. Wie war Ihre Ausgangssituation, auf welche Unterstützung können Sie zurückgreifen? Welche Rolle hat bislang die digitale Kommunikation für die Bewohner in Ihren Einrichtungen gespielt?

Wir haben hier eine sehr gute Ausgangssituation. Bereits seit vier Jahren bieten wir das Freiwillige Soziale Jahr Digital an. Ein Freiwilliger oder eine Freiwillige engagiert sich ein Jahr lang dafür, den Bewohnern die digitale Welt näher zu bringen. Beispielsweise haben so die Teilnehmer der Nähgruppe gelernt, wie sie im Internet Inspiration und Anleitungen für Nähprojekte finden können. Und in unserem Mehrgenerationenhaus haben wir ein Mediencafé eingerichtet. Dadurch haben wir aktuell schon einen Vorteil. In der derzeitigen Situation hilft unser Freiwilliger bei der Einrichtung der Angebote und auch bei der Schulung der Betreuungspersonen, damit diese wiederrum den Bewohnern bei Fragen zur Seite stehen können.

Unsere IT-Abteilung unterstützt natürlich auch bei der Beschaffung und Einrichtung der Hard- und Software. Außerdem müssen neben den Bewohnern auch die Betreuungspersonen in den Pflegeeinrichtungen und natürlich auch die Angehörigen eingewiesen werden.

Welche Nutzungsmöglichkeiten können Sie sich, über die Kontakte zu den Angehörigen hinaus, noch auf digitalem Weg vorstellen?

Bereits seit einem Jahr bieten wir für unsere Bewohner eine Videosprechstunde mit niedergelassenen Ärzten an. In anderen Einrichtungen setzen wir telemedizinische Angebote ein, beispielsweise im Rettungsdienst. Ein Arzt in der Rettungsstelle könnte online die Einsätze begleiten, wenn Kapazitäten knapp werden. Das kann uns jetzt in der aktuellen Situation zu Gute kommen, denn der Versorgungsbedarf steigt, während wir auch mit krankheitsbedingten Ausfällen seitens des medizinischen Personals rechnen müssen. Auch im Kontakt mit anderen Dienstleistern wie Apotheken, Einkaufshelfern oder bei der Materialdisposition sehen wir gute Einsatzmöglichkeiten.

In Bezug auf die Betreuung unserer Bewohner gab es schon vor der Corona-Krise gute Ansätze seitens der Kassen. Beispielsweise Betreuungstablets mit aktivierenden Angeboten wie Spielen oder Märchen- und Erzählapps, die wir sehr positiv bewerten. Diese Angebote werden aktuell von den Kassen sehr verstärkt.

Welche sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erfahrungen aus der derzeitigen Situation? Und wie schätzen Sie langfristig, auch nach der Krise, die Einsatzmöglichkeiten für digitale Angebote ein?

Langfristig müssen digitale Angebote so funktionieren, dass sie den Pflegekräften und Betreuungspersonen Zeit einräumen, um wieder mehr Raum für persönliche Zuwendung zu schaffen.

Die Corona-Krise wirkt wie ein Katalysator für die Digitalisierung. Es werden Hemmschwellen abgebaut und wir erfahren viel darüber, welche Angebote wie genutzt werden und was wirklich einen Mehrwert bietet. Ich sehe viele Chancen, die sich langfristig bieten.

Wir dürfen aber nie vergessen, dass all diese Angebote kein Ersatz für wirkliche Nähe oder ein gutes Wort sind. Das müssen wir derzeit genau im Auge behalten. Unsere Mitarbeitenden müssen auf die Situation der einzelnen Bewohner achten und – soweit möglich – persönliche Begegnungen innerhalb der Häuser fördern.

Ein Beispiel dazu: Gerade jetzt vollendete eine unserer Bewohnerinnen ihr 95. Lebensjahr und konnte dieses besondere Ereignis nicht gebührend feiern. Mit einer sogenannten ‚Fensterbegegnung‘ konnten wir ein wenig Abhilfe schaffen: Während in der Einrichtung das Pflegepersonal Blumen und Aufmerksamkeiten überreichte, spielte vor dem Fenster die Heimatkapelle ihres Wohnortes. Ein Moment, der beides in einem war: Berührend, weil alle ihr Bestes gegeben haben, um der Dame trotz des Kontaktverbots eine persönliche Freude zu machen. Aber auch sehr traurig, weil es uns die Tragik der derzeitigen Situation einmal mehr vor Augen geführt hat.

Das Allerwichtigste ist aber in der jetzigen Situation, dass wir dazu beitragen können, dass alle gesund bleiben – sowohl unsere Mitarbeitenden als auch unsere Bewohnerinnen und Bewohner.

Lieber Herr Beierwaltes, wir danken Ihnen für das Gespräch und die guten Ideen! Wir wünschen Ihnen allen alles Gute und vor allem Gesundheit.