Gegen Verunsicherung und soziale Isolation –
Videosprechstunde der Alzheimer Gesellschaft München e. V.

  • 23. März 2020

Interview mit Tobias Bartschinski, Geschäftsführer der Alzheimer Gesellschaft München

Die Alzheimer Gesellschaft München e.V. leistet wichtige Hilfestellungen für Menschen mit Demenz sowie deren Angehörige und Bezugspersonen. Sie informiert zur Erkrankung und zu Unterstützungsangeboten und bietet auch selbst durch Schulungen und Seminare Möglichkeiten zum Austausch untereinander und mit niedrigschwelligen Betreuungsangeboten Entlastung im Alltag an. Für das Projekt AGMaktiv, das sich insbesondere an Demenzerkrankte im frühen Stadium und in jungen Jahren richtet, wurde die Alzheimer Gesellschaft München e.V. 2019 für den Marie Simon Pflegepreis nominiert.

Zum Schutz der Betroffenen, aber auch der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter vor einer Infektion mit dem Coronavirus mussten nun alle Angebote eingestellt werden, die einen persönlichen Kontakt der Menschen untereinander erfordern. Um die Betroffenen in der aktuellen Situation aber nicht alleine zu lassen, wurde die Einführung der neuen Videosprechstunde vorgezogen. Wir sprachen mit Tobias Bartschinski, Geschäftsführer der Alzheimer Gesellschaft München e.V., über die aktuellen Herausforderungen und Lösungsansätze.

Herr Bartschinski, derzeit beginnen die Menschen in Deutschland, sich mit der neuen Situation – mit der Schließung von Freizeit und Betreuungsangeboten, mit beruflichen Umstellungen und mit der Beschränkung von sozialen Kontakten – vertraut zu machen. Erleben Sie aktuell bereits in den Beratungen eine größere Verunsicherung was die Betreuung von Demenzkranken angeht?

Ja, Verunsicherung ist aktuell das Hauptgefühl, das in den Gesprächen mitschwingt. Die Fragen und Antworten bezüglich der Versorgung der Erkrankten und Entlastung der Angehörigen werden gerade in zwei Varianten durchgespielt: Wie sind die Versorgungsmöglichkeiten generell und was ist jetzt, in der derzeitigen Situation, überhaupt möglich?

Die Suche nach einem Heimplatz, die Anmeldung in einer Betreuungsgruppe oder Tagespflege beispielsweise müssen bis auf Weiteres verschoben werden. Zum einen, weil die Unterbringung aufgrund der aktuellen Situation schon nicht mehr machbar ist oder ungewiss bleibt, wie lange das Angebot noch aufrechterhalten wird. Einige Tagespflegen sind aktuell noch geöffnet, andere Angebote bis auf weiteres ausgesetzt.

Insgesamt aber fürchte ich, dass wir aktuell noch die „Ruhe vor dem Sturm“ erleben.

Wie denken Sie, wird sich die Situation langfristig entwickeln, vor welchen Herausforderungen werden die Menschen stehen, die einen an Demenz erkrankten Angehörigen betreuen und jetzt viel stärker auf sich gestellt sind?

Pflegende Angehörige erleben ohnehin die Situation, dass sie durch diese anspruchsvolle Aufgabe eigene Interessen und Hobbies aufgeben, soziale Kontakte abnehmen und sie zunehmend sozial isoliert sind. Um im belastenden Alltag selbst gesund zu bleiben, sind Angehörige mit dem Fortschreiten der Erkrankung immer mehr auf Entlastungsangebote angewiesen, um Zeitfenster für sich schaffen zu können. Ein Beispiel ist hier der Besuch einer Demenzhelferin beim Erkrankten, damit die Angehörige die Möglichkeit hat, z.B. einen Friseurbesuch wahrzunehmen oder eine Angehörigengruppe zu besuchen. Der Austausch mit anderen Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, wirkt sehr entlastend auf den Einzelnen und gibt seelischen Halt.

Aber genau diese Zeitfenster schließen sich, wenn Betreuungsangebote aufgrund der Infektionsgefahr mit Covid-19 nicht mehr aufrechterhalten werden können.

Es wird in den Medien bereits darüber diskutiert, wie instabile Familiensysteme mit einer länger andauernden Quarantänesituation fertig werden, wenn sie zeitlich und räumlich plötzlich dauerhaft miteinander agieren und kommunizieren müssen.

Der Alltag mit Menschen mit Demenz ist geprägt von Einschränkungen in der Kommunikation mit dem Erkrankten und daraus resultierenden schwierigen Situationen. Neben Empathie wird den Angehörigen ein hohes Maß an Geduld abverlangt, was kaum jemand rund um die Uhr leisten kann.

Hier befürchte ich einen negativen Synergieeffekt. Die Herausforderungen sowohl durch die Corona-Krise als auch durch die dementielle Erkrankung eines Angehörigen ähneln sich: fehlende Sozialkontakte, drohende Isolation, Bereitschaft auf Entbehrungen einzustellen und gleichzeitig Geduld zu zeigen. Die Angehörigen sind hier nun der doppelten Belastung ausgesetzt.

Wie kann hier die Alzheimer Gesellschaft München e. V. über die Videosprechstunde unterstützen?

Es ist uns wichtig, den pflegenden Angehörigen angesichts dieser Herausforderungen weiterhin als Ansprechpartner zur Seite zu stehen.

Zum einen haben wir über die Videoberatung natürlich die Möglichkeit, weiterhin ganz konkrete Unterstützung zu leisten, wie beispielsweise das gemeinsame Ausfüllen eines Antrages für die Pflegeversicherung. Ähnlich wie in der persönlichen Beratung können Beraterin und Klient dasselbe Dokument ansehen, welches auf dem Bildschirm eingeblendet ist. Im Gegensatz zu einem Telefonat wird vieles wird verständlicher und lässt sich besser erklären, wenn man es sehen kann.

Zum anderen ist in diesen Zeiten die psychosoziale Komponente ganz besonders von Bedeutung. Dies am Telefon bieten zu können, ist sicher schon gut. Bei der Videoberatung entsteht aber darüber hinaus das Gefühl, dem Partner direkt gegenüber zu sitzen. Mimik und Gestik spielen in unserer zwischenmenschlichen Kommunikation eine erhebliche Rolle und hier haben wir die Möglichkeit, im Gesicht des anderen zu lesen und die Emotionen des Gegenübers besser einzuschätzen. Vor Corona waren bereits die Themen „emotionale Belastung“, „Umgang und Kommunikation“ und die „eigene Geduld“ Schwerpunkte bei den Ratsuchenden. Die Videoberatung ist hier ein probates Mittel, einem persönlichen Gespräch möglichst nahe zu kommen.

Wie funktioniert die Videosprechstunde? Welche technischen Voraussetzungen benötigen die Nutzer? Welche Regelungen wurden getroffen bezüglich des Datenschutzes? Können Ihre Mitarbeiter die Sprechstunde auch von zuhause aus betreuen?

Man benötigt dafür lediglich einen PC, einen Laptop, ein Tablet oder ein Smartphone mit einem stabilen Internetanschluss und eine Emailadresse. Als Browser wird Chrome oder Firefox benötigt. Bei PC und Laptop muss kein zusätzliches Programm installiert werden. Bei der Nutzung eines Smartphones oder Tablets muss – nach dem Anklicken des Einladungslinks – die angezeigte App installiert werden.

Vor der Videoberatung stimmt man der Datenschutzerklärung und den Nutzungsbedingungen zu. Eine Anleitung und die wichtigsten Informationen dazu werden in Zukunft auch auf der Homepage der Alzheimer Gesellschaft München e.V. als Download bereitgestellt.

Ein Gesprächstermin kann telefonisch oder per E-Mail vereinbart werden. Dann erhält man eine Einladungs-E-Mail mit einem Link, den man in seinen Browser kopiert.

Die virtuelle Sprechstunde kann auch unkompliziert aus dem Home-Office angeboten werden. Hier ist ein Laptop mit Kamera und Mikrofon und eine Internetverbindung notwendig und schon kann es losgehen.

Für welche Angebote kann die Videosprechstunde genutzt werden, ggf. auch über die Beratungen hinaus?

Wir haben bereits diese Woche unseren Angehörigenclub in diesem Format durchgeführt. Unter der Moderation einer Fachkraft und einer Ehrenamtlichen, die selbst einmal pflegende Angehörige war, kommen die Angehörigen zusammen, um ihre Erfahrungen, Freud und Leid miteinander auszutauschen.

Denkbar wäre es auch, dass Angehörigenseminar „Hilfe beim Helfen“, Facharbeitskreise, Vorstandssitzungen und vieles mehr in dieser Form durchzuführen.
Die Anwendungsmöglichkeiten sind sehr vielseitig und gerade in der jetzigen Krise ist Kreativität gefragt. Melden Sie sich einfach bei uns und probieren Sie das neue Angebot aus!

Herr Bartschinski, wir danken Ihnen für das Gespräch und die nachahmenswerte Initiative!
Wir wünschen Ihnen und Ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen alles Gute und vor allem Gesundheit.

Weitere Informationen unter www.agm-online.de